Was ist Process Mining und warum ist es so wichtig?
Das haben wir schon immer so gemacht
Jede Handlung folgt einem bestimmten Pfad, aus dem sich weitere Handlungen ergeben. Dieser Pfad - vom Anfang bis zum Ende - ist ein Gesamtprozess, der sich in verschiedene Teilprozesse gliedert. Das gilt im Privatleben wie auch im Job. Insbesondere in betrieblichen Organisationen sind Prozesse ein wesentlicher Bestandteil der Wertschöpfungskette. Diese Prozesse - oder auch Abläufe - sind meist längst etabliert und laufen immer nach dem gleichen Muster ab. Nicht selten gibt es aber auch Ausreißer davon - und oftmals ist gar nicht klar, ob die etablierten Abläufe wirklich optimal sind. Oder ob sie eben einfach nur etabliert sind, gemäß dem Klassiker: „Das haben wir schon immer so gemacht“.
Aber ist „immer schon so“ auch immer schon gut und richtig gewesen oder geht es besser? Und was, wenn jemand individuell entscheidet, die bestehenden Pfade zu verlassen und somit den Prozess verändert, weil es ihm besser erscheint oder einfach nur, weil es bequemer ist? Welche Soll-Prozesse weichen von den Ist-Prozessen ab und sind die eigenen Einschätzungen der bestehenden Ist-Prozesse überhaupt richtig oder beruhen sie auf dem Glauben, dass die Abläufe so gelebt werden, wie es die eigene Wahrnehmung als richtig vermittelt? Wie erfahren Verantwortliche , welche Prozesse Optimierungsbedarf haben und wo Mitarbeiter eigene Abläufe etablieren, die nicht zwingend im Sinne des Unternehmens sind?
Früher wurde hierzu die Prozessanalyse genutzt, durchgeführt von externen Beratern. Hier werden Prozesse durch Gespräche und subjektive Beobachtungen analysiert, bewertet und bei Notwendigkeit verändert. Diese Notwenigkeit besteht fast immer und wird trotzdem häufig nicht erkannt. Denn der Haken an dieser Methode ist: Sie ist langwierig, nicht objektiv, ungenau und unzuverlässig, teuer und nicht nachhaltig, da diese Methodik nur eine Momentaufnahme widerspiegelt. Alle Informationen über Prozessabläufe beruhen auf subjektiven Aussagen, Einschätzungen und Beobachtungen von Individuen. Nicht selten entsteht in Interviews mit Prozessverantwortlichen der Versuch, den jeweiligen Prozess als „absolut perfekt“ zu verkaufen, denn schließlich ist der Interviewpartner seit Langem verantwortlich für die bestehenden Abläufe und wird sich ungerne nachweisen lassen, dass es besser geht.
Sie sitzen auf einem Schatz und können die Truhe nicht öffnen - Process Mining liefert den Schlüssel
Wie also können objektive Prozessdaten gewonnen werden, frei von individueller Manipulation und einseitigen Interessen? Durch Process Mining – übersetzt würde es sich wohl am besten als „Prozessdaten schürfen“ bezeichnen lassen, angelehnt an das Schürfen nach Edelmetall in Goldminen. Über eine solche Goldmine verfügt jedes Unternehmen. Eine Goldmine gefüllt mit wertvollen Daten. Ein Schatz, der in vielen Fällen nie gehoben wurde, weil die Werkzeuge dazu fehlten.
Durch Process Mining ändert sich das. Das Prozesswissen aus den ohnehin vorhandenen Daten kann geborgen und nutzbar gemacht werden. Digital, objektiv und ehrlich. Kein Einfluss subjektiver Interessen, kein Verschweigen tatsächlicher Falschabläufe. Reale Erkenntnisse, ausschließlich geborgen aus den unbestechlichen Daten der Warenwirtschaft: Prozessdaten lügen nicht.
Jede Organisation besitzt die Schatztruhe der Warenwirtschaftsdaten und mit Process Mining gibt es nun auch den Schlüssel dazu. Aber wie funktioniert dieser Schlüssel?
Spaghetti und Goldmünzen
Am besten erklären lässt sich das mit dem folgenden, etwas ungewöhnlichem Vergleichsbild: Fast alle Warenwirtschaftssysteme erfassen jeden betrieblichen Vorgang mit einem sogenannten Zeitstempel. Wir sprechen dabei von „Events“, also Vorgängen, die im System mit Datum und Uhrzeit sowie Vorgangsnummer automatisch erfasst und gespeichert werden. Soweit so gut, die Daten sind also bereits vorhanden. Aber: Diese Daten sind ein großer Teller voller unübersichtlich angeordneter Spaghetti, und bei keinem Anfang eines einzelnen Spaghetto ist klar, wohin das Ende ist und über welche anderen Spaghetti der Pfad geht. Bevor also die Goldmünzen eingesammelt werden können, müssen erstmal die Nudeln sortiert werden. Und an dieser Stelle kommt Process Mining ins Spiel.
Datenanalysten nutzen Business Intelligence-Systeme (BI), wie beispielsweise Qlik Sense, Power BI oder Tableau, um kaufmännische Daten aus Ihrem System zu heben. Diese Daten als Basis für Prozessanalysen sind aber immer noch der Nudelteller. Wie also bringen die Process Mining Experten Ordnung auf den Teller? Durch speziell entwickelte Process Mining Software, die auf die jeweiligen BI-Systeme aufgesetzt wird und alle Daten anhand der Zeitstempel und Vorgangsnummern vorsortiert. Nun gibt es natürlich zeitlich parallele Abläufe: Die Buchhaltung arbeitet ja zur gleichen Zeit wie beispielweise die Logistik. Diese Daten werden einmalig manuell in die korrekten Abfolgen und Parallelabläufe sortiert. Der Software wird also beigebracht, welche Prozesstrukturen die jeweilige Organisation hat und wie die Soll-Prozesse aussehen sollen. Und dann kann es schon losgehen.
Maschinelle Prozessanalyse – objektiv und unbestechlich
Die Process Mining-Software wird ab diesem Zeitpunkt jederzeit vollumfängliche Daten zu jedem einzelnen Event mit seinen Folgeevents auslesen und die bestehenden Pfade offenlegen. Ergo: Den Prozessablauf maschinell erkennen. Diesen stellt das Programm schaubildlich in Form eines Graphen dar, anhand dessen unmittelbar zu erkennen ist, welcher Tätigkeit welche Transaktion folgt und ob das dem Soll-Prozess entspricht. Um dies einfacher zu gestalten, kann das Programm auch alle Abläufe automatisiert separieren, die nicht durch den Soll-Prozess laufen. Das ist der sogenannte „Soll-Prozessfilter“. Die Spaghetti sind jetzt in sinnvoller Anordnung sortiert: Anfang, Verlauf und Ende eines jeden Spaghetto ist klar erkennbar.
Nun ist also ersichtlich, in welcher Reihenfolge was im Betrieb passiert. Wichtig ist aber nicht nur, wann was passiert, sondern auch wie oft es vorkommt, wie lange das dauert und welche Geldwerte sich dahinter verbergen. Das ist der Schritt von sauber angeordneten Spaghetti, die zu den Goldmünzen führen. Durch die Zeitstempel befinden sich im System ja bereits die Zeiten, wann ein Event passiert. Nacheinander in Prozessschritten und -abläufen angeordnet, lässt sich daraus entsprechend auch der Zeitraum zwischen den Prozessschritten ermitteln. Einzeln je Event oder auch über einen individuell definierten Zeitraum. Daraus ergibt sich die Durchschnittszeit vom Beginn eines gewählten Events/Prozessschrittes bis zum Ende eines freiwählbaren, späteren Events. Es wird also erkennbar, wie lange bestimme Abläufe durchschnittlich dauern. Das allein ist bereits Gold wert. Aber wieviel?
Process Mining misst Häufigkeit, Dauer, Werte, zeigt Ausreißer und hilft die richtigen Entscheidungen zu treffen
In der Warenwirtschaft werden alle Kosten, Preise, Rechnungen, Umsätze, Zahlungs- sowie Warenein- und ausgänge gebucht. Die entsprechenden Daten samt Wert sind also bereits im System vorhanden und praktischerweise auch immer einem Event (samt Zeitstempel und Vorgangsnummer) zugeordnet. Anhand dieser Daten kann nun jeder einzelne Vorgang oder eben auch eine vorgewählte Vorgangsgruppe oder ein bestimmter Zeitraum bewertet werden. Dabei spielt es keine Rolle, an welcher Stelle des Spaghetto die Analyse begonnen wird und endet. Alle Gesamtprozesse können frei auswählbar sowie ab jedem Schritt analysiert werden. Auf diese Weise lassen sich einzelne Unternehmenseinheiten extrahiert betrachten und vergleichen, was beispielsweise die Treue zu den Soll-Prozessen betrifft oder die zeitliche und finanzielle Performance.
Vereinfacht gesagt: Die Organisation wird komplett gläsern. Reißt irgendwo jemand aus dem Prozess aus, hält den vorgegebenen Pfad nicht ein oder übliche Durchschnittszeiten und -werte laufen aus dem Ruder, wird dies mit einem Klick auf den Sollrozessfilter unmittelbar sichtbar. Probleme werden also bereits in der Entstehung identifiziert. Nicht erst dann, wenn vermeintlich korrekte Gewohnheitsprozesse auffällig werden, weil sie unnötige Fehler und Kosten verursachen und die vorher niemand infrage gestellt hat, denn… „das haben wir ja schon immer so gemacht.“ - Prozessdaten lügen nicht.